Menü

Landtagssitzung am 01.03.2019 | TOP 24: Aktuelle Debatte "Ein starkes Europa packt den Klimaschutz an"

Video Landtagsrede am 01.03.2019: Grüner Debattenbeitrag von Dorothea Frederking >>> Rede im Wortlaut zum Nachlesen im Transkript:

01.03.19 –

Video Landtagsrede am 01.03.2019: Grüner Debattenbeitrag von Dorothea Frederking >>>

Hier zur gesamten Debatte mit allen Redebeiträgen und Drucksache (7/3989) >>>

Rede im Wortlaut zum Nachlesen im Transkript:

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 7/3989


Die Redezeit der Fraktionen beträgt jeweils zehn Minuten. Die Landesregierung hat ebenfalls zehn Minuten Redezeit. Es wurde folgende Reihenfolge vereinbart: GRÜNE, AfD, SPD, DIE LINKE und CDU.

Zunächst hat die Antragstellerin das Wort. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht die Abg. Frau Frederking. - Frau Frederking, Sie haben das Wort.


Dorothea Frederking (GRÜNE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ab und zu bringen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Kinder mit in die Fraktion; manche sind nur ein paar Monate alt. Das bringt immer Lebendigkeit mit sich, was mich sehr freut. Wenn ich aber an die Zukunft der Kinder denke, dann bereitet es mir doch sehr große Sorge.

Für uns hier im Plenum mag schon das Jahr 2050 nach Science-Fiction klingen, erst recht, wenn die Klimaauswirkungen für das Jahr 2100 prognostiziert werden. Für unsere noch kleinen Besucherinnen und Besucher besteht aber die realistische Chance, das Jahr 2100 zu erleben. Das heißt, sie werden die Klimakatastrophe in ihrer ganzen Härte erfahren, wenn wir jetzt nicht gegensteuern.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE, und von Ministerin Prof. Dr. Claudia Dalbert)

So, wie wir jetzt leben und wirtschaften, hinterlassen wir ihnen ein Klima mit katastrophalen Auswirkungen und Meere mit mehr Plastik als Fisch. Ihre Lebensgrundlagen stehen auf dem Spiel. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir haben kein Recht auf Egoismen. Der Fingerzeig auf andere ist angesichts der existenziellen Herausforderungen unpassend.

Wir sind jetzt in der Pflicht, wirklich alles zu tun, damit die nachfolgenden Generationen noch einen lebenswerten Planeten vorfinden. Das werden wir nur erreichen, wenn wir die Herausforderungen grenzübergreifend anpacken. Nur wenn wir gemeinsam EU-weit Visionen verfolgen, können wir sie auch erreichen. Die gemeinsamen Regularien der EU helfen den Nationalstaaten beim Klima- und Umweltschutz, sodass das Wasser sauberer wird

(André Poggenburg, fraktionslos: Privatisiert wird!)

und auch die größten Städte noch Luft zum Atmen haben.

Nur ein starkes und gefestigtes Europa geht bei diesen Belangen voran.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Die EU steht auch zu ihrer globalen Verantwortung. Sie will das Klimaschutzabkommen von Paris einhalten. Deshalb brauchen wir in der EU genau diese Politik, die das voranbringt.

Kürzlich hat die EU eine Strategie „Ein sauberer Planet für alle - eine europäische strategische und langfristige Vision für eine wohlhabende, moderne, wettbewerbsfähige und klimaneutrale Wirtschaft“ mitgeteilt. Hierin geht es um die langfristige Verringerung der Nettotreibhausgasemissionen auf null bis zum Jahr 2050.

Grundlegende Umgestaltungen in Gesellschaft und Wirtschaft sind erforderlich. Es geht um ein klimagerechtes und CO2-sparendes Verhalten, das bei der eigenen Lebensweise nicht stoppt: Weniger fliegen;

(Lydia Funke, AfD, und Hannes Loth, AfD, lachen - Hannes Loth, AfD: Fliegen! Die GRÜNEN!)

Wanderurlaub statt Weltreise, Veränderungen der Landnutzung zur Absorption von Treibhausgasen sind erforderlich.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Die Strategie zeigt die technischen Möglichkeiten, wie zum Beispiel eine umfangreiche Elektrifizierung, die Nutzung von regenerativ erzeugtem Wasserstoff, die vielfältigen Power-to-X-Techniken oder Nullemissionsgebäude, auf. Ich möchte, dass die meisten dieser Techniken zum Einsatz kommen, um die Lebensqualität der Menschen zu steigern, allerdings nicht die unsägliche CCS-Technik, bei der CO2 unterirdisch verpresst werden soll, und das mit ungewissem Ausgang.

Ein gesamteuropäisches Konzept ist sinnvoll, um das künftige Energiesystem auch großräumig zu vernetzen und um die Sektorkopplung einfacher hinzubekommen.

Die Geburtsstunde der Europäischen Union war die Montanunion. Diese erste supranationale Organisation ermöglichte den zollfreien Handel von Kohle und Stahl und zeigte, dass alle von Zusammenarbeit profitieren.

(Guido Heuer, CDU: Kohle wollen Sie doch abschaffen!)

Energie war in Europa schon immer ein sehr zentrales Thema. Deutschland hat an den globalen CO2-Emissionen einen Anteil von 2,23 %. Das hört sich nicht nach viel an. Wenn man aber bedenkt, dass wir nur 1,15 % der Weltbevölkerung ausmachen, dann stellen wir fest, dass wir doppelt so viel emittieren, wie uns bei einer weltweiten Gleichverteilung zustehen würde.

(Robert Farle, AfD: Industrie abschalten!)

Angesichts des dramatisch voranschreitenden Klimawandels leben wir nicht nur über unsere Verhältnisse, sondern auch über die Verhältnisse der anderen auf unserem gemeinsamen Planeten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es ist völlig logisch, dass alle handeln müssen. Genau das ist mit dem Klimaabkommen von Paris intendiert. Natürlich kann Deutschland nicht allein das Klima retten, aber das passiert ja auch nicht. Wenn wir unsere Kohlekraftwerke abschalten, dann bekommen wir als Ersatz natürlich keinen Kohlestrom aus Polen; denn auch Polen wird seine Energieversorgung auf 100 % erneuerbare Energien umstellen.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Logik und Vernunft stehen hinter dem Klimaabkommen von Paris. Wir brauchen die EU, damit sie die Mitgliedsstaaten dabei unterstützt, mehr CO2-Emissionen einzusparen, als sie es allein schaffen würden.

Ich bringe einige Beispiele. Die EU-Energieeffizienz-Richtlinie hat europaweit dazu geführt, dass sich die Nationalstaaten Energieeffizienzziele auferlegt haben. Die Sanierungsrate für Gebäude der Zentralregierung - in Deutschland die Bundesregierung - ist auf 3 % erhöht worden. Alle Mitgliedsstaaten haben sich dazu verpflichtet, in dem Zeitraum von 2014 bis 2020 eine jährliche Energieeinsparung von 1,5 % zu realisieren.

Es wird der Tag kommen, an dem ein effektiver EU-weiter Emissionshandel die fossilen Kraftwerke unwirtschaftlich werden lässt, während die erneuerbaren Energien immer mehr an Fahrt aufnehmen werden. Fossile Energien müssen teurer werden. Damit müssen auch die Folgekosten für Klima- und Gesundheitsschäden abgebildet werden. Damit werden zugleich die Wettbewerbsnachteile für die erneuerbaren Energien beseitigt.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zurufe von der AfD)

Genauso werden dann Investitionen in Effizienz und auch in erneuerbare Energien attraktiver. Gut ist, dass mit der Reform des EU-Emissionshandels der Zertifikatepreis auf inzwischen 25 % gestiegen ist. Dieser Preis führt schon zu den ersten Auswirkungen. Klimafreundliche Kraftwerke werden wirtschaftlicher. Es zeigt sich an der Börse, dass effiziente Gas- und Dampfkraftwerke sich inzwischen schon vor die Steinkohlekraftwerke gesetzt haben.

Die Reform bietet den Mitgliedsstaaten auch die Möglichkeit, Zertifikate freiwillig zu löschen. Wenn wir in Deutschland zum Beispiel fossile Kraftwerke abschalten, dann können wir diese Zertifikate löschen. Diese Zertifikate wandern dann auch nicht in die Kohlekraftwerke ins Ausland. Wenn der Preis für eine Tonne CO2 45 € übersteigen sollte, werden sowohl Braunkohle- als auch Steinkohlekraftwerke rein wirtschaftlich komplett aus dem Markt gedrängt.

Ganz aktuell ist das EU-Winterpaket für die Strommarkt-Verordnung, das bis spätestens Ende 2021 in nationales Recht umgesetzt werden muss. Darin sind einige gute Ansätze, die den Ausbau der Fotovoltaik voranbringen werden. Solaranlagen bis maximal 30 kWp für den Eigenverbrauch werden dann von der EEG-Umlage befreit. Zusätzlich bietet das Winterpaket Erleichterungen für den Direktverkauf, sodass hoffentlich mehr Mieterstromprojekte realisiert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich denke, es wird auch der Tag kommen, an dem der letzte grenzübergreifende Lückenschluss im europäischen Schienennetz gelingen wird. Hier kann mit wenig Geld viel bewegt werden.

Der grüne Europaabgeordnete Michael Cramer hat dafür schon Ende November 2015 einige Vorschläge zusammengetragen. Wenn zum Beispiel die 20-km-Strecke zwischen Givet in Frankreich und Dinant in Belgien geschlossen werden würde, dann wäre das gut für den Schienenverkehr, und wenn mehr Verkehr auf die Schiene kommt, spart das auch CO2.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Auch bei den GAP-Fördermitteln wollen wir eine andere Steuerung. Wir wollen, dass die Fördermittel eingesetzt werden für Hecken, für Dauergrünland, für Blühstreifen, sodass wir wieder mehr Bienen und saubere Flüsse bekommen; denn intakte, artenreiche Ökosysteme werden wesentlich besser mit dem Klimawandel zurechtkommen.

In der Begründung zu unserem Antrag habe ich schon gesagt, dass einige andere Länder in der EU voranschreiten. Schweden will Diesel- und Benzinautos verbieten, Österreich Ölheizungen. Von diesen Beispielen können wir natürlich alle lernen.

Die Messungen zum Abschmelzen des Polareises zeigen, dass der Klimawandel wesentlich schneller voranschreitet als prognostiziert. Wenn sich das erhärtet, müssen wir unsere Schritte für mehr Klimaschutz ambitionierter festlegen. Genau das hat die EU mit der Strategie „Ein sauberer Planet für alle“ für Europa festgelegt. Insektensterben, Klimakatastrophe - es ist einiges aus den Fugen geraten. Wir wollen den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Umwelt hinterlassen.


Vizepräsident Willi Mittelstädt:

Frau Frederking, Ihre Redezeit ist abgelaufen.


Dorothea Frederking (GRÜNE):

Dafür brauchen wir eine starke Europäische Union. Ein starkes Europa packt den Klimaschutz an. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Vizepräsident Willi Mittelstädt:

Danke, Frau Frederking. Herr Diederichs hat sich zu Wort gemeldet. - Herr Diederichs, Sie haben das Wort.


Jens Diederichs (CDU):

Danke. - Frau Kollegin, Sie haben gerade gesagt, auch Polen beschreitet den Weg der erneuerbaren Energien. Wie erklären Sie sich denn die Nachricht von September 2018 aus dem „Neuen Deutschland“: „Polen baut neues Kohlekraftwerk“?

(Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE - Weitere Zurufe)

- Ja, so steht es dort.

(André Poggenburg, fraktionslos: Das ist doch Ihre Zeitung, da drüben!)

Wie erklären Sie sich das?


Vizepräsident Willi Mittelstädt:

Frau Frederking, darf ich Sie kurz unterbrechen? - Ich sehe, die ersten Besucher gehen schon von der Tribüne. Bevor wir in dieser Aussprache fortfahren, habe ich die ehrenvolle Aufgabe, Damen und Herren der Industriegewerkschaft Metall aus Schönebeck in diesem Hohen Hause begrüßen zu dürfen. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Frau Frederking, jetzt haben Sie wieder das Wort.

(Zuruf von Sebastian Striegel, GRÜNE)


Dorothea Frederking (GRÜNE):

Herr Diederichs, meine Einschätzung ist: Polen wird das Kraftwerk nicht bauen, und zwar allein deshalb, weil der Klimawandel dramatische Ausmaße annimmt. Das haben wir im letzten Jahr an der Dürre gesehen. Das merken auch alle EU-Staaten. Und ich sprach von Logik und ich sprach von Vernunft.

(André Poggenburg, fraktionslos: Eben!)

Wir sind als Staatengemeinschaft aufgefordert, etwas zu tun. In der EU verursacht der Energiebereich 75 % der CO2-Emissionen. Der allergrößte Teil kommt also aus der Energiewirtschaft. Damit ist völlig klar: Wenn wir die Auswirkungen des Klimawandels noch beherrschbar halten wollen, müssen wir jetzt wirklich alles tun. Und dann kann Polen auch kein neues Kohlekraftwerk mehr bauen. Ich bin sicher, dass das nicht passieren wird. Im Übrigen gehöre ich zu denjenigen, die an der deutsch-polnischen Grenze schon demonstriert haben, damit genau das nicht stattfindet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

GRUENE.DE News

<![CDATA[Neues]]>