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Gentechnik-Papier der Grünen Agrarsprecher*innen: Neue Gentechnik in der Landwirtschaft verantwortungsvoll regulieren und Agrarökologie fördern

Als agrarpolitische Expertin unterstützt Dorothea Frederking das Positionspapier der agrarpolitischen Sprecher*innen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit einer Differenzierung. Sie sieht hinsichtlich des Gesundheitsschutzes und der möglichen gesundheitlichen Langzeitschäden die gentechnischen Veränderungen nicht in einer besonderen Rolle im Vergleich zu durch Züchtungsmethoden hervorgerufenen Veränderungen im Erbgut.

22.06.21 –

Als agrarpolitische Expertin unterstützt Dorothea Frederking das Positionspapier der agrarpolitischen Sprecher*innen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit einer Differenzierung. Sie sieht hinsichtlich des Gesundheitsschutzes und der möglichen gesundheitlichen Langzeitschäden die gentechnischen Veränderungen nicht in einer besonderen Rolle im Vergleich zu durch Züchtungsmethoden hervorgerufenen Veränderungen im Erbgut.

Das ganze Papier finden Sie hier >>>

Als Sprecher*innen für Agrarpolitik, Ernährung und Gentechnikpolitik fordern wir:
Neue Gentechnik in der Landwirtschaft verantwortungsvoll regulieren und Agrarökologie fördern


Bericht der EU-Kommission zu neuen GVO-Verfahren

Im Juli 2018 entschied der europäische Gerichtshof, dass auch neue gentechnische Methoden wie CRISPR/Cas unter der europäischen Gentechnikgesetzgebung reguliert werden müssen. In Folge des Urteilsspruchs wurde die EU-Kommission 2019 vom Rat der Mitgliedstaaten beauftragt, eine Untersuchung durchzuführen, der vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils den „Status neuartiger genomischer Verfahren im Rahmen des Unionsrechts sowie — falls angesichts der Ergebnisse der Untersuchung angemessen — einen Vorschlag zu unterbreiten“.

In dem am 29.04.2021 veröffentlichten Bericht schlägt die Europäische Kommission eine Anpassung der Rechtsvorschriften zu einigen Verfahren der neuen Gentechnik und damit eine Aufweichung der bestehenden Zulassungs- und Anwendungsregelungen vor, die auf dem Vorsorgeprinzip beruhen. Gleichzeitig will die Kommission das hohe Schutzniveau für Mensch und Umwelt aufrechterhalten. Ebenso erkennt sie die Kennzeichnungspflicht als Schlüssel zur Wahlfreiheit der Produzenten und Verbraucher*innen an. Die Kommission stellt zwar klar, dass die Methoden der Neuen Gentechnik gentechnisch veränderte Organismen (GVO) sind, so wie es der EUGH 2018 bekräftigt hat, sie hält aber die aktuelle EU-Gesetzgebung für „anpassungsbedürftig“.

Daraus ergeben sich allerdings Widersprüche, denn für uns steht fest, dass eine Anpassung des Gentechnikrechts nicht zu laxeren Zulassungsverfahren oder Risikoprüfungen führen darf, wenn „das hohe Schutzniveau für Mensch und Umwelt“ gewährleistet und das Vorsorgeprinzip angewandt werden soll. Auch Koexistenz- und Haftungsregelungen dürfen nicht unterminiert werden. Dem Wert des Gesundheits-, und Verbraucherschutzes, des Umweltschutzes und des Biodiversitätserhalts muss Rechnung getragen werden. Die gentechnikfreie, insbesondere die ökologische Erzeugung darf auf keinen Fall gefährdet werden.

Darüber hinaus ist die Kennzeichnungspflicht in konsequenter Auslegung des EuGH (ein technischer Eingriff in die Gene ist Gentechnik) aufrecht zu erhalten. Die Menschen müssen die Wahl haben, auf dem Teller und dem Acker, unabhängig davon, ob es um neue oder alte Methoden der Gentechnik geht.

Das Vorsorgeprinzip ist ein Grundpfeiler der europäischen Verträge

Artikel 191 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) legt eine Berufung auf das Vorsorgeprinzip fest, „wenn ein Phänomen, Produkt oder Verfahren potenzielle Gefahren birgt, die durch eine objektive wissenschaftliche Bewertung ermittelt wurden, wenn sich das Risiko nicht mit hinreichender Sicherheit bestimmen lässt.“

Die EU-Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG basiert auf diesem fundamentalen Prinzip und regelt die Freisetzung zu Versuchszwecken als auch die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit in Produktion und Vermarktung von gentechnisch veränderten Organismen. Überlebensfähige Organismen können sich, sobald einmal freigesetzt, in Ökosystemen verbreiten, fortpflanzen und auskreuzen und sind nicht rückholbar.

Da fehlerhafte Entscheidungen bei GVO für nachkommende Generationen damit nicht revidierbar sind, muss das Vorsorgeprinzip hier angewendet und die entsprechenden Regelungen der Freisetzungsrichtlinie unbedingt beibehalten werden. Denn eine Deregulierung der Richtlinie beschneidet kommende Generationen in ihrer Entscheidungsfreiheit. Die EU-Institutionen sind dazu verpflichtet Vorsorge zum Schutz von Umwelt und Gesundheit der Bürger*innen zu betreiben.

Risikoprüfung, Kennzeichnung, Nachweisbarkeit konsequent durchführen, Wahlfreiheit sicherstellen

Behörden wie das deutsche Bundesministerium (BMU 2021)3 , Bundesamt für Naturschutz BfN 2017)4 , das österreichische Umweltbundesamt (UBA Österreich 2020)5 , europäische Umwelt- und Bioanbauverbände 6 sowie Stimmen aus der Wissenschaft (Kawall/Cotter/Then (2020)7 , AgapitoTenfen et al. (2018)8 , Eckerstorfer et al. (2019)9 weisen auf Risiken der neuen Gentechnik z.B. mögliche gesundheitliche Langzeitschäden oder Umweltschäden hin.

Auch die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA erklärt in einer Stellungnahme, dass ein mit CRISPR/Cas veränderter glutenfreier Weizen der bisherigen Risikoprüfung unterzogen werden sollte, auch wenn es sich nicht um eine transgene Pflanze handelt. 10 Das United Nations Environment Programme (UNEP) hat die synthetische Biologie, unter die auch CRISPR/Cas-basierte Gene Drives und andere Freisetzungen von GVO fallen, als eine der sechs aktuell wichtigsten globalen Umweltgefahren („emerging issues of environmental concern“) bezeichnet (UNEP 2019).

Es mehren sich Studien zu „On- und Off-target-Effekten“, die zu unerwarteten Änderungen in der DNA führen, wobei diese nicht immer erkannt würden.12 . Andere Studien weisen darauf hin, dass auch kleine Modifikationen am Genom große Veränderungen am Organismus nach sich ziehen können und natürliche Regeln der Vererbung außer Kraft gesetzt werden.13 Langzeitschäden, sowohl für die menschliche Gesundheit als Konsument*innen von GVO-Lebensmitteln, als auch auf die Umwelt in komplexer Wechselwirkung mit Ökosystemen sind nicht auszuschließen.14 Die Zulassung von Gene Drive Organismen lehnen wir aufgrund des massiven Eingriffs in ganze Ökosysteme und der generellen Unumkehrbarkeit dieser sehr risikobehafteten Freisetzungen grundsätzlich ab. Eine gründliche Risikoprüfung neuer gentechnisch veränderter Produkte ist deshalb aus unserer Sicht grundsätzlich unabdingbar.

Nur durch eine lückenlose Kennzeichnung von GVO wird die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen sichergestellt. Laut zahlreicher Umfragen lehnen rund 80% der europäischen Verbraucher*innen Gentechnik im Essen ab. Sie haben ein Recht darauf zu wissen, was in ihrer Nahrung enthalten ist, genauso wie Landwirt*innen und Lebensmittelunternehmen Rechtssicherheit getreu dem Verursacherprinzip brauchen. Zugelassene GVO müssen gekennzeichnet werden und durch die Lieferkette rückverfolgbar sein. Ansonsten kann im Falle unerwünschter Aus- oder Nebenwirkungen die Haftung nicht mehr beim Verursacher ansetzen. Eine Deregulierung kann dahingehend auch unkalkulierbare wirtschaftliche Risiken im Schadensfall für die produzierenden Unternehmen bedeuten. Die konventionelle, gentechnikfreie und ökologische Erzeugung ist ungewollten Einträgen ausgeliefert. Das konterkariert die Ziele der EU in der Farm to Fork Strategie, die beispielsweise einen starken Ausbau des Ökolandbaus forciert.

Um die geltende Rechtslage umzusetzen und im Sinne der Verbraucher*innen und Bäuer*innen Transparenz zu gewährleisten, müssen von den zuständigen Stellen dringend Nachweisverfahren entwickelt sowie weitererforscht und angewendet werden. Hier müssen bestehende Forschungsansätze weiterentwickelt werden 15 und in die Dokumentation neuer Gentechnikanwendungen investiert werden. Dafür braucht es einen Ausbau der bestehenden GVORegister und ein verpflichtendes internationales Register auf CBD-Ebene (Convention on Biological Diversity).

Innovative agrarökologische Ansätze fördern

Herausforderungen wie die Klimakrise, das Artensterben, die Übernutzung der Böden und die Verschmutzung unserer Gewässer erfordern ganzheitliche Lösungsansätze. Der Ökolandbau macht vor, wie durch ein Wirtschaften mit den Ökosystemen, mit vielfältigen Fruchtfolgen ohne synthetischen Pflanzenschutz und mineralischen Dünger, gesunde und hochwertige Lebensmittel erzeugt werden. Erhaltung des mikrobiellen Bodenlebens, Humusaufbau, Erhöhung der Bodenwasserhaltekapazität, positive Kohlenstoffbilanz, natürliche Stickstoffbindung, all diese die Resilienz des Anbausystems bestimmenden Faktoren können mit dem Ökolandbau geschaffen werden. Aber auch Agroforstsysteme und Permakultur sind innovative Ansätze, die sich als weitaus stabiler, produktiver und umfassend wirksamer für die Herausforderungen der Landwirtschaft erwiesen haben als die Fokussierung auf technische Symptombekämpfung. Es gilt also, ganze Systeme gegenüber den Auswirkungen der Klimakrise widerstandsfähig zu machen.

Die Forschung und der Wissensaustausch mit vorhandenem Saatgut und die Entwicklung neuer konventioneller Züchtungen birgt ein großes Potential, das bisher nur geringfügig ausgeschöpft wurde. Für den Erhalt der vielfältigen Züchtungslandschaft ist also sowohl eine Stärkung der modernen gentechnikfreien konventionellen als auch der ökologischen Züchtung nötig. Konventionelle Züchtungsprogramme konnten in den letzten Jahren beachtliche Erfolge in der Entwicklung Trockenheits- und Salztoleranter Pflanzen vorweisen.

Die letzten Jahrzehnte waren aber überwiegend geprägt von einer Einengung auf wenige ertragreiche Sorten, geringe Agrobiodiversität und eine Oligopolisierung des Saatgutmarkts durch wenige mächtige Konzerne. Die Fokussierung auf die Gentechnik wird diese Tendenz noch weiter verstärken. Anders als beim Sortenschutz gibt es bei Gentechniksorten kein Open-Source-System auf Basis des Züchterprivilegs, so dass Züchtungsunternehmen für die Verwendung einer patentgeschützten Sorte immer die (meist kostenpflichtige) Zustimmung der Patentinhaber benötigen.

Die in der Forschung und Entwicklung teuren gentechnischen Verfahren haben in der Vergangenheit ihre Versprechungen nicht eingehalten. Statt den Welthunger zu bekämpfen oder Pestizide zu reduzieren, sehen wir heute herbizidtoleranten Soja oder Mais in Monokultur und resistente Unkräuter, die zum Einsatz von immer mehr Pestiziden führen. Über ein Drittel der CRISPR-Pflanzen in einem vorkommerziellen Stadium sind laut EU-Kommission herbizidtolerant.18 Die Versprechen der neuen Gentechnik sind genau die Gleichen wie die alten und daher mit Vorsicht zu genießen.

Wir fordern:

Uneingeschränkte Beibehaltung und Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips als primärrechtliche Regelung der EU 

Umfassende und langfristige Risikoprüfung bzgl. möglicher Auswirkungen auf Mensch und Umwelt bei der Anwendung von GVOs 

die derzeit geltenden Überprüfungen und Regulierungen auf EU- und nationaler Ebene müssen weiterhin als Mindeststandard für alle Anwendungen im offenen System und für Freisetzungen gelten 

lückenlose Kennzeichnung aller gentechnisch veränderten Produkte und Sicherung der Wahlfreiheit für Verbraucher*innen, Landwirt*innen und Produzent*innen 

Schutz der gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Erzeugung vor unerwünschter Kontamination

Unterzeichner*innen des Papiers: Harald Ebner (MdB), Martin Häusling (MdEP), Norwich Rüße (MdL) Nordrhein-Westfalen, Bernd Voß (MdL) Schleswig-Holstein, Volkmar Zschoke (MdL) Sachsen, Martin Hahn (MdL) Baden-Württemberg, Hans-Jürgen Müller (MdL) Hessen, Gisela Sengl (MdL) Bayern, Jan Saffe (MdBB) Bremen, Ophelia Nick (Sprecherin BAG Landwirtschaft), Miriam Staudte (MdL) Niedersachsen, Turgut Altug (MdA) Berlin.

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