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Landtagssitzung am 16.10.2020 | TOP 29: Nord Stream 2 und Russland

Video Landtagsrede am 10.09.2020: Grüner Debattenbeitrag von Dorothea Frederking >>> Rede im Wortlaut zum Nachlesen im Transkript:

16.10.20 – von Dorothea Frederking –

Video Landtagsrede am 09.07.2020: 

Grüner Debattenbeitrag von Dorothea Frederking >>>

Hier zur gesamten Debatte mit allen Redebeiträgen >>>

Rede im Wortlaut zum Nachlesen im Transkript:

Dorothea Frederking (GRÜNE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! „Du fühlst keinen Schmerz, aber du weißt, du stirbst“, das hat Alexej Nawalny über die Wirkung seiner Vergiftung gesagt.

(Zuruf: Das ist doch gar nicht bewiesen, Mensch! - Unruhe)

Er hat die Vergiftung überlebt, genauso wie Sergej Skripal. Andere Oppositionelle und Journalistinnen und Journalisten haben in Russland nicht überlebt.

(Unruhe)

Anna Politkowskaja wurde durch Reportagen und Bücher über den Krieg in Tschetschenien sowie über Korruption im russischen Verteidigungsministerium bekannt. Sie wurde in Moskau erschossen.

Boris Nemzow war russischer Politiker

(Zuruf: Was soll denn das?)

und protestierte prominent gegen die Präsidentenwahlen. Auch er wurde in Moskau erschossen.

Jeder Mensch hat nur ein Leben. Die Genannten standen in Opposition zur russischen Regierung von Wladimir Putin und wurden getötet. Die Liste dieser Menschen ist weit länger. Aktivitäten für Pressefreiheit, Menschen- und Bürgerrechte, Aufklärung von Korruption und Vetternwirtschaft, aber auch Engagement für Umweltschutz sind im heutigen Russland lebensgefährlich.

(Zuruf von Siegfried Borgwardt, CDU)

Die Morde und Mordanschläge sind zu verurteilen. Verurteilt hat auch Bundeskanzlerin Merkel die jüngste Vergiftung von Nawalny. - Herr Borgwardt, die Spannungen im Verhältnis zu Russland steigen und wirken sich auch auf die kurz vor der Fertigstellung befindliche Erdgaspipeline Nord Stream 2 aus.

(Zustimmung)

Namens meiner Fraktion kann ich sagen, dass es für den Autokraten Putin keinen geopolitischen Freundschaftsdienst geben darf. Wirtschaftliche Abhängigkeiten in den Kreml zu schaffen, ist eine denkbar schlechte Idee. Das finden übrigens auch Estland, Lettland, Litauen und Polen, ganz zu schweigen von der Ukraine und der Zivilgesellschaft in Belarus,

(Unruhe - Zuruf)

denen Putin unter Umgehung der alten Leitungssysteme Erdgas versagen konnte.

(Unruhe)


Präsidentin Gabriele Brakebusch:

Sehr geehrte Frau Frederking, einen kleinen Moment! - Es fällt mir sehr schwer, dem Verlauf hier noch folgen zu können. Es mag sein, dass Sie das Thema an der einen oder anderen Stelle nicht interessiert. Ich bitte Sie aber trotzdem, den Geräuschpegel herunterzufahren. Denn wir möchten von der Rede gern noch etwas mitbekommen.

- Die Zeit wird Ihnen nicht abgezogen, ich gebe sie obendrauf, Frau Frederking. - Bitte.


Dorothea Frederking (GRÜNE):

Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich von Nord Stream 2 distanziert

(Zustimmung)

und dem Projekt die politische Unterstützung entzieht.

Ein Scheitern des Projektes ließe sicherlich Schadenersatzforderungen des Konsortiums erwarten. Deshalb braucht es geeignete Maßnahmen, um die Fertigstellung zu verhindern.

Ich sage hier ganz klar und deutlich: Für uns ist klar, dass die Sanktionsandrohungen der USA gegenüber den am Pipelinebau beteiligten Firmen mit der Folge der aktuellen Unterbrechung der Bauarbeiten nicht zu den geeigneten Maßnahmen zählen. Erpressung und Flüssiggas aus den USA lehnen wir ebenso ab.

(Zustimmung - Zurufe)

Nord Stream 2 als riese Klimakillerinfrastruktur kann und wird keine Zukunft haben. Der Stopp dieser Pipeline kann der Anfang vom Ende aus dem Ausstieg von Erdgas sein.

(Unruhe)

Denn auch Erdgas heizt das Klima weiter auf. Auch Erdgas ist ein Klimakiller und raubt die Lebensgrundlagen der Menschen.


Präsidentin Gabriele Brakebusch:

Sehr geehrte Frau Frederking, ich habe Ihnen die Zeit schon obendrauf gegeben, aber jetzt müssen Sie zum letzten Satz kommen. Es gibt aber noch zwei Wortmeldungen und eine Kurzintervention, auf die Sie noch reagieren könnten.


Dorothea Frederking (GRÜNE):

Die Möglichkeiten einer sicheren Energieversorgung ohne Erdgas mit heimischen erneuerbaren Energien können wir in den Ausschüssen beraten. - Vielen Dank.

(Zustimmung)


Präsidentin Gabriele Brakebusch:

Wir haben als Erstes eine Kurzintervention von dem Abg. Herrn Farle. - Bitte, Herr Farle.


Robert Farle (AfD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Frederking, Ihr Beitrag heute zeigt, dass die Heuchelei der GRÜNEN unerträglich wird. Welche Menschenrechte werden denn in Katar bewahrt? Werden Leute dort nicht noch ausgepeitscht? Kennen Sie nicht die ganzen Skandale, die dort geschehen? - Aber das stört Sie alles nicht.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Doch, das stört uns!)

Nawalny soll dafür herhalten, vernünftige Wirtschaftsbeziehungen zu unseren Nachbarn, die wir benötigen, um den Frieden in Europa auf lange Sicht zu sichern, zu untergraben. Denn Sie sind im Grunde genommen nur die Hinterherläufer von Transatlantikern, die die Moral vorschieben, die im Grunde eine einzige Heuchelei ist, um gute Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarn zu unterbinden und dann noch das Land vor die Wand zu fahren, weil der Energiebedarf natürlich anders als mit Nord Stream 2 gar nicht gedeckt werden kann, schon gar nicht preiswert. Das geht direkt gegen die Interessen der Menschen in unserem Land, weil Sie die Energiepreise Jahr für Jahr durch neue Steuern, Verbote usw. künstlich immer weiter verteuern.

Mit Ihrer Politik muss Schluss sein. Hoffentlich überstehen Sie im kommenden Jahr nicht die Fünf-Prozent-Hürde. - Vielen Dank.

(Zustimmung)


Präsidentin Gabriele Brakebusch:

Frau Frederking, Sie können darauf erwidern, müssen es aber nicht. - Doch, Sie möchten.


Dorothea Frederking (GRÜNE):

Vielen Dank. - Ich erwidere an dieser Stelle gern das, was ich immer erwidere. - Herr Farle, wir GRÜNEN verfügen über ein durchgerechnetes Energieszenario.

(Robert Farle, AfD: Das wissen wir!)

In diesem Energieszenario steht zum Beispiel, dass wir den Endenergieverbrauch massiv senken müssen.

(Lydia Funke, AfD: Also haben wir keine Industrie mehr! - Sebastian Striegel, GRÜNE: Das ist doch Quark! - Hannes Loth, AfD: Das ist grüne Politik!)

- Ich nenne Ihnen ein positives Beispiel, Frau Funke. - Wir haben dank eines Antrages der Koalitionsfraktionen im letzten Jahr auf den Weg gebracht, dass in den Landesliegenschaften - 3 500 landeseigene Gebäude an der Zahl - die Heizungsregelungen richtig eingestellt werden.

(Lydia Funke, AfD: Wow! Das ist ja genial! - Zustimmung - Lachen - Weitere Zurufe)

- Ja, ganz genau; das ist nämlich ein Riesenerfolg.

(Zurufe)

Frau Dalbert hat es dargestellt: Drei Viertel des Erdgases geht in die Wärme. Allein im Gebäudebereich können wir ohne Komforteinbußen locker ein Drittel sparen,

(Zustimmung)

indem wir es einfach richtig machen.

(Zuruf)

Das sind die Erfolge, die wir auf den Weg gebracht haben. Das heißt, es geht darum, Potenziale auszuschöpfen, auch die Senkung des Energieverbrauchs.

(Zustimmung)


Präsidentin Gabriele Brakebusch:

Frau Abg. Frederking, es gibt noch zwei Wortmeldungen, eine von dem Abg. Herrn Gallert und eine von dem Abg. Herrn Hövelmann. - Sie haben jetzt das Wort, Abg. Herr Gallert.

(Ulrich Siegmund, AfD: Zeitgleich fahren Sie mit einem 7er-BMW herum, Frau Frederking, mit 400 PS! - Weiterer Zuruf)

- Ich denke, wir sollten hier keine Zwiegespräche führen. Sie haben sich nicht zu Wort gemeldet und bekommen es jetzt auch nicht extra.

(Zuruf von Ulrich Siegmund, AfD)

- Aber es geht doch nicht, dass Sie hier Zwiegespräche führen.

(Zuruf)

- Wir werden nicht zulassen, dass Sie jetzt Zwiegespräche führen. Sie haben die Möglichkeit, sich zu melden. Bei einer Dreiminutendebatte ist Ihnen eine Wortmeldung gestattet; diese haben Sie bereits getätigt. Mehr geht nicht. - Herr Gallert, Sie haben jetzt das Wort.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Frau Frederking, ich habe vorhin gesagt, es ist eine doppelte Dimension: Wir haben es mit Energie zu tun, wir haben es aber auch mit Geopolitik zu tun.

(Zuruf von Robert Farle, AfD)

Mich hat auch überrascht, dass als politische Alternative zu Russland Katar genannt worden ist. Denn die Beispiele von der Ministerin    

(Ministerin Prof. Dr. Claudia Dalbert: Es ist nicht als politische Alternative genannt worden! Ich habe Ihnen nur eine Berechnung genannt!)

- Na ja, aber das ist die logische Alternative.


Präsidentin Gabriele Brakebusch:

Frau Ministerin, auch Sie haben jetzt nicht das Wort. Das geht so nicht.


Wulf Gallert (DIE LINKE):

Das ist die logische Alternative: Wenn nicht Russland, dann lieber die Arabischen Emirate. Dann fällt es mir schwer, die Dinge innenpolitisch abzuwägen.

Ich habe eine Frage, Frau Frederking. Wir sitzen ja auch im Europaausschuss. Natürlich halte ich das Argument für legitim, die Situation der Innenpolitik in Russland heranzuziehen, um auch über solche Dinge zu diskutieren.

Frau Frederking, was glauben Sie? Nehmen wir einmal an, wir würden Nord Stream 2 tatsächlich kappen und würden darüber hinaus so schnell wie möglich die Erdgas- und Erdölimporte aus Russland reduzieren, dafür LNG aus der ganzen Welt importieren. Welche innenpolitischen Resultate hätte das wohl Ihrer Meinung nach in Russland? Wie würden sich die Dinge dann dort entwickeln?


Präsidentin Gabriele Brakebusch:

Frau Frederking, bitte.


Dorothea Frederking (GRÜNE):

All das, was ich selbst mit berechnet habe, geht von dem Ansatz aus, dass wir uns erst einmal mit unserer eigenen Energie versorgen sollten. Das sind die erneuerbaren Energien.

(Zuruf)

Der Ansatz extrapoliert ja weiter; denn das soll weltweit passieren, nicht nur in Sachsen-Anhalt, nicht nur in Deutschland, nicht nur in Europa, weil wir im Jahr 2035 global klimaneutral sein müssen, um das 1,5-Grad-Celsius-Ziel von Paris überhaupt noch erreichen zu können.

Das heißt, ich setze nicht auf Importe von LNG, sondern zum Beispiel auf eine Wasserstofftechnik oder eine Wasserstoffstrategie hier im Land, sodass wir uns selbst mit eigenen Energien versorgen können.

(Zustimmung)


Präsidentin Gabriele Brakebusch:

Vielen Dank, Frau Frederking.

(Zuruf: Das war nicht die Frage!)

- Herr Abg Hövelmann, Sie haben jetzt das Wort.


Holger Hövelmann (SPD):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Verehrte Frau Frederking, Sie haben einen Großteil Ihrer Rede darauf verwendet, Ihre ablehnende Position mit der Menschenrechtslage in Russland zu begründen. Das ist legitim, das will ich nicht infrage stellen. Ich will deutlich machen, dass es auch für die Demokraten dieser Welt tatsächlich eine Herausforderung ist, die Menschenrechtslage in Russland zu verbessern.

Ich stelle Ihnen aber dennoch die Frage, ob das Symbol Nord Stream 2 geeignet ist, um an der Stelle tatsächlich Verbesserungen vorzunehmen. Denn so muss man Ihre Position interpretieren, anders geht es nicht.

Daran schließen sich folgende Fragen an: Wo ist der Beginn und wo hört die Möglichkeit auf, durch Sanktionen, durch das Einstellen wirtschaftlicher Verhandlungen bzw. wirtschaftlicher Beziehungen Druck auf die jeweilige innenpolitische Lage eines anderen Landes auszuüben? Das heißt, was wollen Sie gegebenenfalls noch an entsprechenden wirtschaftlichen Sanktionen bzw. Konsequenzen anstreben, um Ihr Ziel zu erreichen?


Präsidentin Gabriele Brakebusch:

Frau Frederking, bitte.


Dorothea Frederking (GRÜNE):

Wo fängt es an, wo hört es auf? - Nord Stream 2 ist das Projekt, das aktuell noch nicht fertig ist - anders als Nord Stream 1; das Projekt kommt ja auch aus Russland und läuft annähernd parallel.

Herr Gallert hat immer von der Mehrschichtigkeit gesprochen. Es kommt hinzu, dass sich Amerika einmischt, völlig unzulässig. Ich hoffe, ich habe in meiner Rede ausreichend deutlich gemacht, dass wir diese Erpressungen nicht richtig finden.

Es kommt darauf an, an dieser Stelle, an der es jetzt gewaltig knirscht, auch mal einem Staat, einer Regierung, die skrupellos handelt, zu sagen, wir möchten dieser Regierung nicht ohne Weiteres weiterhin unser Vertrauen aussprechen.

(Zustimmung)

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